Neuer Putz soll Nähte im Betrieb ersetzen - ingenieur.de

2021-11-29 09:22:00 By : Mr. Steven Du

Chirurgische Nähte sind nicht die beste Alternative zum Verschließen innerer Wunden. Jetzt präsentieren Ingenieure einen innovativen Putz. Es verklebt Gewebe, kann aber bei Bedarf gezielt entfernt werden.

Wird es bald möglich sein, Schnitte oder Risse in Organen mit Pflastern zu reparieren? Das hoffen amerikanische Forscher.

Nach Schätzungen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge führen Chirurgen jedes Jahr weltweit mehr als 230 Millionen größere Operationen durch. Zum Verschließen von Wunden sind häufig Nähte erforderlich. Sie belasten das Gewebe und führen manchmal zu Schmerzen, Narben, aber auch Infektionen.

Forscher des MIT schlagen einen grundlegend neuen Ansatz vor. Sie möchten Gewebe mit biokompatiblen Kunststoffen versiegeln. Aus ihren Labors stammt nicht nur das Polymer, sondern auch ein spezielles Klebeband zum Verschließen innerer und äußerer Wunden. Es kann leicht mit harmlosen Chemikalien entfernt werden.

Im vergangenen Jahr entwickelten MIT-Ingenieure einen Klebstoff, der schnell und fest auf Oberflächen wie biologischem Gewebe haftet. Inspiriert von einer klebrigen Substanz, mit der Spinnen ihre Beute fangen, stellten sie daraus doppelseitiges Klebeband her, um Gewebe schnell zu versiegeln.

Erste Versuche mit Ratten und Schweinen waren vielversprechend. Das neue Klebeband konnte in nur fünf Sekunden Gewebestücke in Lunge oder Darm verbinden – zum Beispiel nach einem Schnitt oder Riss. Doch der Gips hatte einen Schwachpunkt: Er ließ sich nur schwer wieder entfernen, wenn er beispielsweise während einer Operation angepasst oder nach Abheilung der Verletzung entfernt werden musste.

Beim Experimentieren mit dem Originalkleber stellten die Ingenieure schnell fest, dass ihr Klebeband nicht gut auf nassen Oberflächen haftete. Denn eine dünne Wasserschicht führt zu schlechteren Wechselwirkungen zwischen Gewebe und Polymer.

Daher wurden im ersten Schritt Polymere verwendet, die unter anderem Polyacrylsäure enthalten: ein extrem saugfähiges Material, das beispielsweise in Windeln und Pharmazeutika verwendet wird. Es absorbiert Wasser und bildet schwache Wasserstoffbrücken mit der Oberfläche des biologischen Gewebes.

Um diese Bindungen zu stärken, betteten die Forscher das Material in sogenannte NHS-Ester ein. NHS ist N-Hydroxysuccinimid. Das Molekül besitzt funktionelle Gruppen, die stärker mit Proteinen auf der Oberfläche eines Gewebes interagieren. So weit, ist es gut. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Bindungen jetzt so fest waren, dass das Klebeband nicht mehr ohne Beschädigung von Organen abgezogen werden konnte. Mögliche Entzündungsreaktionen oder Risse im Gewebe wären die Folge gewesen.

Die Polymerchemie wurde erneut verwendet, um den Klebstoff zu modifizieren. Die Wissenschaftler fügten dem ursprünglichen Material ein neues Disulfid-Linker-Molekül hinzu. Es fungiert als Brücke in den Bindungen zwischen dem Klebstoff und den Proteinen im Gewebe. Solche Bindungen sollten leicht zu brechen sein, bekannte Chemikalien waren jedoch ungeeignet.

Die Forscher suchten daher in wissenschaftlichen Publikationen nach einem Reduktionsmittel, das sowohl biokompatibel ist als auch Verbindungen innerhalb des Klebstoffs aufbrechen kann. Sie fanden heraus, dass Glutathion, ein in den meisten Zellen natürlich vorkommendes Antioxidans, Disulfidbrücken aufbrechen kann. Und Natriumbicarbonat half gegen Wasserstoffbrücken – es steckt zum Beispiel in Backpulver.

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Das Team vermischte Glutathion und Natriumbicarbonat in einer Kochsalzlösung. Die Flüssigkeit wurde dann über Klebstoffproben gesprüht, die an verschiedenen Organ- und Gewebeproben befestigt waren. Es wurden Herzen, Lungen und Darmgewebe von Schweinen verwendet. Unabhängig davon, wie lange das Klebeband auf dem Stoff war, konnte es in nur fünf Minuten abgezogen werden. Alle biologischen Strukturen blieben intakt.

„Das ist ungefähr die Zeit, die die Lösung braucht, um durch das Klebeband an die Oberfläche zu diffundieren, wo das Klebeband auf den Stoff trifft“, sagt Xiaoyu Chen vom MIT. "An diesem Punkt verwandelt die Lösung die Oberfläche des Klebstoffs in ein Gel, das sich leicht abziehen lässt."

Die Forscher stellten auch eine Version ihres Klebers her, die sie mit winzigen Kanälen versehen. Durch solche Kapillaren diffundieren Flüssigkeiten ins Innere. Das Design könnte sich als nützlich erweisen, wenn das Band zum Befestigen von Implantaten und anderen medizinischen Geräten verwendet wird. Eine Sprühlösung auf der Oberfläche des Bandes wäre in diesem Fall keine Option. Stattdessen könnte ein Chirurg die Lösung auf die Kanten des Bandes auftragen, wo sie durch Kanäle im Klebstoff nach innen diffundiert und schließlich das Band abziehen.

„Unser Ziel ist es, Nähte durch bioadhäsive Technologien zu ersetzen. Das ist eine Jahrtausende alte Wundverschluss-Technologie mit wenig Innovation“, sagt Xuanhe Zhao vom MIT. Der Ingenieur hofft, dass Polymere in nicht allzu ferner Zukunft Nähte ersetzen könnten.

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Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Er arbeitet unter anderem für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er freier Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie / Physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin / Medizintechnik.

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