Medizinische Notfälle während der COVID-19-Pandemie

2021-11-29 09:07:21 By : Mr. Jeffery bai

Hintergrund: Die vorliegende Studie untersucht die Zahl der Notaufnahmen während der COVID-19-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland.

Methode: In 29 universitären und 7 außeruniversitären Notaufnahmen wurden Fallzahlen der Kalenderwochen 1–22 in den Jahren 2019 und 2020 erfasst. Außerdem Alter, Geschlecht, Dringlichkeit, Fallart (ambulant / stationär), Aufnahmestation und individuelle Tracer-Diagnosen (I21, Myokardinfarkt; J44, COPD und I61, I63, I64, G45, Schlaganfall / TIA) und Anzahl der COVID-19-Fälle sowie die SARS-CoV-2-Testzahlen als Maß für die Anzahl der Fälle mit Verdacht oder differenzialdiagnostischer Abklärung.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 1.022.007 Vorstellungen von Patienten in der Notaufnahme eingeschlossen, davon 546.940 aus 2019 und 475 067 aus dem Jahr 2020. Die Zahl der bestätigten COVID-19-Vorstellungen betrug 3 122 Präsentationen im Vergleich zum Vorjahr, mit einem maximalen Rückgang von 38 % zum Zeitpunkt der höchsten Anzahl von COVID-19-Fällen (Woche 14; 572 COVID-19-Fälle). Mit Beginn der Kontaktbeschränkungen im Jahr 2020 kam es zu einem starken Rückgang der Fallzahlen mit durchschnittlich 240 Fällen pro Notaufnahme und Woche (95%-Konfidenzintervall: [−284; −128]). Die Fallzahlen stiegen dann jede Woche um durchschnittlich 17 Fälle [14; 19] Patient und hat sich hinsichtlich eines Myokardinfarkts bereits vollständig normalisiert.

Fazit: Die COVID-19-Pandemie in Deutschland hat zu einem deutlichen Rückgang medizinischer Notfälle aller Art in den Notaufnahmen geführt. Ein Erholungseffekt setzte bereits in Woche 15 ein. Ausgangswerte wurden bis zur 22. Woche nicht erreicht, obwohl sich die Prävalenz des Myokardinfarkts normalisierte. Ursachen sind Gegenstand weiterer Forschung.

Die Ansteckungspandemie mit dem „Severe Acute Respiratory Syndrome“ (SARS) Corona Virus 2 (CoV2), die zu der als Corona Virus Disease 2019 (COVID-19) bekannten Erkrankung (1) führt, hat sich sowohl weltweit als auch in Deutschland ausgebreitet bis dahin beispiellose Kontaktbeschränkungen. Insbesondere im März 2020 wurden Großveranstaltungen abgesagt, Schulen und Universitäten geschlossen sowie Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum durch entsprechende Verordnungen der Länder und eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes (2) erlassen. Ziel der Maßnahmen war es, die Bevölkerung in einem zunächst exponentiellen Verlauf der COVID-19-Inzidenz zu schützen – insbesondere um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden – wie es zuvor in Italien geschehen war (3) (4). Die primäre Herausforderung ist die schwere Form von COVID-19 im Sinne des „Acute Respiratory Distress Syndrome“ (ARDS), die eine besonders aufwendige intensivmedizinische Therapie erfordert (5). Vor allem der Mangel an intensivmedizinischen Kapazitäten hatte in einigen Regionen Italiens zu Versorgungsschwierigkeiten geführt (3). Zu Beginn der Pandemie war davon auszugehen, dass COVID-19 analog zu anderen schweren Infektionen die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen und insbesondere akuten Myokardinfarkten erhöhen würde. Musheret al. berichten von einem mehr als dreifach erhöhten Herzinfarktrisiko bei Lungenentzündung, das bei septischem Verlauf auf über das Sechsfache ansteigen kann (6). Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass die Herzinfarktrate auch mit ST-Strecken-Erhöhung während der Pandemie geringer ist (7, 8, 9).

Das primäre Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Entwicklung der Nutzung von Notaufnahmen während der COVID-19-Pandemie zu beschreiben und diese Entwicklung in Bezug zu den Kontaktbeschränkungen zu setzen. Zum anderen werden die Fallzahlen während der COVID-19-Pandemie mit dem entsprechenden Zeitraum des Vorjahres verglichen und nach demografischen Kriterien und Dringlichkeit stratifiziert. Explorativ wird die Häufigkeit der schwerwiegenden Diagnosen Myokardinfarkt, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Schlaganfall/transiente ischämische Attacke beschrieben.

Es handelt sich um eine multizentrische, deutschlandweite Datenerhebung in Notaufnahmen. Von den 43 Notaufnahmestellen, die vom Forum für universitäre Notaufnahmen (FUN; n = 30) und dem Aktionsbündnis Informations- und Kommunikationstechnologie in der Intensiv- und Notfallmedizin (AKTIN) Notaufnahmeregister) (AKTIN; n = 17) beantragt werden , insgesamt 36 nahmen an der Datenerhebung teil (26 Forum der universitären Notaufnahmen [FUN] und 10 AKTIN).

Der erste Teil der Erhebung umfasste Standortmerkmale der einzelnen Notaufnahmen sowie regionale Besonderheiten. Dazu gehörten die Anzahl der Patienten und Betten in den jeweiligen Notaufnahmestandorten, regionale „Lock-Down“-Maßnahmen mit Terminen, Informationen zu den SARS-CoV2-Tests und Anfragen zur verwendeten Erstbewertungsmethode (10). Der zweite Teil umfasste die aggregierte Erhebung der Besuchszahlen des jeweiligen Studienzentrums insgesamt und in bestimmten Untergruppen: Aufenthaltsort (ambulant / stationär), Aufnahmeort (Intensiv- / Intermediate Care / Normalstation), Fachgebiet, Ersteinschätzung, Geschlecht und Alter. Daten aus der Erstuntersuchung (Triage) wurden in den fünf Kategorien (1 = lebensbedrohlicher Notfall, bis 5 = nicht dringende Vorstellung) und die Anzahl ohne dokumentierte Erstuntersuchung bzw. mit direktem Arztkontakt erhoben (10). Auch die Häufigkeit von Myokardinfarkt (ICD-10: I21), Schlaganfall/TIA (ICD-10: I61, I61, I64, G45) und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD; ICD-10: J44) wurde erfasst. Die Zuordnung der Diagnosen zu den Kalenderwochen erfolgte anhand des Aufnahmedatums und die Kodierung der genannten ICD-Codes wurde als Diagnose gewertet, unabhängig davon, ob es sich um eine Notaufnahmediagnose, Krankenhaushauptdiagnose oder Nebendiagnose handelte. Diese Diagnosen wurden aus besonders schwierigen Gründen der Vorstellungskraft als Tracer-Diagnosen verstanden. Der Erhebungszeitraum umfasste die Kalenderwochen 1 bis 22 der Jahre 2019 und 2020. Für die zeitliche Granularität wurden wöchentliche Intervalle (Kalenderwochen) gewählt. Es wurden keine Falldaten fallweise zusammengeführt.

Datenextraktions- und -übertragungsmethodik

Die Daten wurden aus den Krankenhausinformationssystemen der 26 FUN-Standorte der beteiligten Zentren extrahiert, in Excel-Vorlagen übertragen, intern auf Plausibilität geprüft und anschließend in anonymisierter, aggregierter Form an die zentrale Datenverwaltung der Charité – Universitätsmedizin Berlin übergeben. In zehn Kliniken wurden fallbezogene Daten zentral über die Infrastruktur des Notaufnahmeregisters AKTIN (11) abgefragt, was eine multizentrische Nutzung von Routinedaten unabhängig vom lokalen Notaufnahmedokumentationssystem ermöglicht (12). Die allgemeine Spezialisierung „Trauma“ bzw. „Nicht-Trauma“ wurde von den jeweiligen Zentren nach ortsüblichem Vorgehen, z System“ (CEDIS) (13, 14 ).

Die übermittelten Daten zu Patientenkontakten wurden an die zentrale Datenverwaltung in SPSS, Version 25, übergeben, zusammengeführt und mit Hilfe des Statistikprogramms R analysiert. Relative Veränderungen (%) wurden als Differenzen zwischen den Jahren 2020 und 2019 bezogen auf das Jahr 2019 für die jeweiligen Kategorien berechnet und als Boxplots aller Notaufnahmen dargestellt. Zunächst wurden deskriptive, explorative Analysen der Fallzahlen über die Kalenderwochen beginnend mit Woche 2 des Jahres durchgeführt, da die Anzahl der Tage in der ersten Woche 2019 und 2020 unterschiedlich war (relative und absolute Häufigkeit). Eine Liste von Fällen wurde für fehlende Werte ausgeschlossen. Weitere Details finden Sie im Abschnitt eMethoden.

Bei dem Projekt handelt es sich um eine Zusammenführung von aggregierten Daten, die aufgrund der geringen zeitlichen Granularität keinen Personenbezug mehr haben und damit faktisch anonym sind. Hierzu wurden die Datenschutzbeauftragten der Charité Universitätsmedizin Berlin konsultiert. Das Projekt wurde dem COVID-19 Research Board von der federführenden Einrichtung (Charité – Universitätsmedizin Berlin) als Ergänzung zur Pa-COVID-19 Studie (EA2 / 066/20) vorgestellt. Aufgrund der Verwendung aggregierter und faktisch anonymisierter Daten wurde das Projekt nach dortiger Beratung als nicht Gegenstand einer gesonderten Begutachtung durch die Ethikkommission eingestuft. Der Corona-Forschungsrat der Charité hat der Entscheidung zugestimmt.

An der Datenerhebung waren insgesamt 36 Notaufnahmen beteiligt, davon 29 Universitätskliniken (80,6 %) und sieben weitere Kliniken (19,4 %; Tabelle).

Die SARS-CoV2-Tests begannen in den teilnehmenden Notaufnahmen zwischen dem 20. Januar 2020 und dem 26. März 2020. In 63,9% der Kliniken wurde eine zusätzliche COVID-19-Teststelle eingeführt, in 61,1% der Fälle eine COVID-Notaufnahme (eTabelle 1 ).

Gesamtzahl der Besuche und SARS-CoV2-Tests in den Notaufnahmen

Insgesamt wurden 1.022.007 Präsentationen der beteiligten Notaufnahmen ausgewertet, davon 546.940 aus dem Jahr 2019 und 475 067 aus dem Jahr 2020. Zwischen dem 20. Januar und 26. März 2020 wurden in den beteiligten Notaufnahmen SARS-CoV2-Tests eingerichtet und insgesamt Im Beobachtungszeitraum wurden 51.361 SARS-CoV2-Tests durchgeführt, davon 6,1 % (n = 3 122) positiv. In angeschlossenen Testkliniken (Daten nicht von allen Standorten berichtet) wurden insgesamt 34.878 SARS-CoV2-Tests durchgeführt, davon 4,2 % positiv (n = 1.471).

Beim Vergleich der Notaufnahmen in den Jahren 2020 und 2019 ergab sich insgesamt eine signifikante Reduktion der Fallzahlen mit einer maximalen Reduktion von 38 % in den Kalenderwochen 13 und 14 (δ = −9 294 bzw. δ = −9 896 .) ) (Abbildung 1, eAbbildungen 1a, b, eTabelle 2). Mit Beginn der Kontaktbeschränkungen im Jahr 2020 kam es zu einem starken Rückgang der Fallzahlen auf durchschnittlich −240 Fälle pro Notaufnahme und Kalenderwoche (95%-Konfidenzintervall: [−284; −128]). Die Fallzahlen stiegen dann jede Woche um durchschnittlich 17 Fälle [14; 19] Patienten.

Die absolute Mehrheit der SARS-CoV2-positiven Testergebnisse wurde in der Kalenderwoche 13 mit 16 % beobachtet (523 positive Ergebnisse aus 3 353 durchgeführten Tests, eGrafik 2). Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen wurde im Jahr 2020 während der COVID-Pandemie ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen in zwei Notaufnahmen beobachtet; Begleitet wurde dies von einer entsprechenden Anzahl von SARS-CoV-2-Tests in der Notaufnahme.

Relativer Ideenwandel in der Notaufnahme

Ein deutlicher Rückgang der Zahl der Notaufnahmen wurde in beiden Altersgruppen sowie bei Männern und Frauen beobachtet (Abbildung 2 a, b).

Auch die Präsentationen in Subgruppen nach Dringlichkeit (Grafik 3a), Trauma versus Nichttrauma (Grafik 3b), stationärer Aufnahme (Grafik 3c) und den relevanten Tracer-Diagnosen (Grafik 4a, b, eGrafik 3) gingen zurück. Die relativ höchste Reduktion bei Präsentationen von Patienten unter 60 Jahren wurde mit 42 % erneut in den Kalenderwochen 13 und 14 (δ = −6 315 bzw. δ = −6 689) gefunden und liegt ebenfalls in der Altersgruppe 60 und mehr als 34 % in Kalenderwoche 14 (δ = −3 111). Die maximale Reduktion der Präsentationen bei Männern war in Kalenderwoche 14 (δ = −5.215; −39%), bei Frauen in Kalenderwoche 13 (δ = −4.436; −40%). Die höchste relative Reduktion wurde bei Patienten mit Trauma in Kalenderwoche 13 beobachtet (50,6 %, = −2 799), bei Patienten ohne Trauma in Kalenderwoche 14 (35,3 %, δ = −6 186). Betrachtet man spezifische, schwerwiegende Diagnosen, war die stärkste relative Reduktion für Myokardinfarkt in Kalenderwoche 12 (δ = -120; -40%), für COPD in Kalenderwoche 15 (δ = -152; -50%) und für Schlaganfall / TIA in Kalenderwoche 16 (δ = -176; -24%) nachweisbar.

Die vorliegende Arbeit bestätigt und quantifiziert erste Berichte über eine Reduzierung von Notfällen einschließlich Schlaganfällen und Myokardinfarkten in deutschen Notaufnahmen während der COVID-19-Pandemie und stellt dieses Phänomen auf eine solide Datenbasis.

Der Rückgang der Fallzahlen steht in engem Zusammenhang mit den vorgeschriebenen Kontaktbeschränkungen und dem Höhepunkt der COVID-19-Inzidenz in unseren Daten (Grafiken 1 und eGrafik 2). Beide Faktoren hängen zusammen, da die Beschränkungen strikt an den Verlauf der Pandemie angepasst wurden. Grundsätzlich können mehrere Faktoren für diesen Prozess verantwortlich gemacht werden.

Im Kontext der COVID-19-Pandemie könnte die Hemmschwelle, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, angestiegen sein, zumal die Angehörigen insbesondere bei älteren Patienten häufig eine Notfallversorgung einleiten und diese aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht zur Verfügung standen. Durch die Einschränkung von Aktivität und Kontakten hätten Krankheiten oder Verletzungen seltener auftreten können, da einerseits auslösende Faktoren wie Stress und körperliche Aktivität fehlten und andererseits eine Ansteckung mit anderen Erregern weniger wahrscheinlich war.

Bei Einführungen aufgrund von Unfällen oder Verletzungen („Traumata“) dürften der Rückgang des Straßenverkehrs, die Schließung von Sportstätten und die Absage aller Großveranstaltungen zu einer Verringerung dieser Einführungsgründe beigetragen haben. Frühere Daten der ersten SARS-Epidemie im Jahr 2003 zeigen vergleichbare, eher vorübergehende Rückgange der Fallzahlen (15). Aus Kalifornien, USA, Wong et al. Auch Präsentationen in Notaufnahmen gehen derzeit um bis zu 50 % zurück (16).

Die geringere Zahl der Präsentationen bei Personen über 60 war weniger ausgeprägt und zeigte einen früheren Erholungseffekt (Abbildung 2a). In den drei Wochen strenger Kontaktbeschränkungen war der Ideenrückgang bei den Frauen etwas höher als bei den Männern. Dies deutet darauf hin, dass weniger soziale als medizinische Faktoren die Fallzahlen beeinflussten.

Dringlichkeit, Pflegegrad und spezifische Diagnosen

Der Rückgang der Fallzahlen betrifft alle Dringlichkeitsstufen, die Versorgungsstufe (Normalstation versus Intensivstation) und stärker ausgeprägte ambulante Fälle. Es liegt auf der Hand, dass ambulante Patienten mit weniger dringenden Gründen, sich vorzustellen, ihre Behandlung auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, zumal ein wesentlicher Faktor bei der Vorstellung dieser Patienten in der Notaufnahme die Angst vor einer schweren Erkrankung ist und damit durchaus in Konkurrenz zu der Angst vor Infektion (17). Auf dem Höhepunkt der Pandemie wurde in den Krankenhäusern intensiv an der Etablierung angepasster Versorgungsprozesse gearbeitet (18, 19) und die Bevölkerung durch Meldungen über Ausbrüche in einzelnen Kliniken verunsichert (20).

Besonders auffällig ist der Rückgang bei Fällen mit typischen Tracer-Diagnosen. Die verminderte Präsentation von Patienten mit COPD könnte damit erklärt werden, dass die Kontaktbeschränkungen möglicherweise die infektionsbedingte Exazerbation reduziert haben. Auch die öffentlich breit kommunizierten Informationen über Lungenvorerkrankungen als besonders gefährliche Disposition für einen schweren Verlauf (21) könnten zu einer weiteren Vermeidungshaltung geführt haben. Dagegen bleiben die Gründe für die beobachtete Reduktion bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt letztlich unklar. Obwohl eine Differenzierung zwischen ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) und Nicht-STEMI in unseren Daten nicht möglich ist, bestätigen das eindeutige Ergebnis im Einklang mit anderen Publikationen (8, 9) und die Gesamtreduktion bei schweren Fällen in unseren Daten dies ist eine gültige Beobachtung. Piccoloet al. bestätigen dieses Phänomen anhand von Interventionszahlen beim akuten Koronarsyndrom in Italien (22).

Eine Hypothese für den Rückgang der Fallzahlen bei STEMI ist, dass Patienten mit Brustschmerzen aufgrund von Bedenken hinsichtlich einer COVID-19-Infektion die medizinische Notfallversorgung verzögerten oder nicht in Anspruch nahmen. Dies spiegelt sich in einer großen internationalen Befragung kardiologischer Zentren wider (23).

Wie bereits erwähnt, könnte es aufgrund der forcierten Lebensstiländerung auch zu einem tatsächlichen Rückgang der kardiovaskulären Notfälle gekommen sein. Es ist bekannt, dass Myokardinfarkte typischerweise durch ungewöhnliche akute körperliche Belastungen ausgelöst werden (24), die wahrscheinlich durch die kontaktbeschränkenden Maßnahmen reduziert wurden. Darüber hinaus sind insbesondere sportliche Großereignisse mit einem Anstieg der kardiovaskulären Mortalität und Morbidität bei den Zuschauern verbunden (25, 26). Auch dieser Auslöser wurde durch die weltweite Absage aller Großveranstaltungen reduziert.

Auch der Rückgang der Schlaganfallpatienten in deutschen Notaufnahmen kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Ähnliche Entwicklungen finden sich auch in anderen Ländern. In den Vereinigten Staaten verzeichneten 856 Krankenhäuser Anfang April eine 39-prozentige Reduzierung der zerebralen Bildgebung bei Verdacht auf akuten Schlaganfall (27). Gerade bei Patienten mit leichten Schlaganfallsymptomen oder temporären Versagenssymptomen (TIAs) ist zu befürchten, dass aus Angst vor einer Infektion mit SARS-CoV2 nicht ärztliche Hilfe in Anspruch genommen wurde. Dies unterstreichen die Daten einer Studie aus dem Elsass, in der im März, in der Anfangsphase der Pandemie, sich einerseits die Zahl der Einweisungen in die Stroke-Stationen nicht vom Vorjahr unterschied, andererseits aber die Rate in Lysen war gegenüber 2019 aufgrund der späteren Darstellung außerhalb des Zeitfensters um 41 % gesunken (28). In einem Bericht aus New Jersey kam es neben einem Rückgang der Schlaganfallpatienten generell zu einer Zunahme von Patienten mit einem Verschluss der großen hirnversorgenden Gefäße (29). Dies könnte darauf hindeuten, dass die fehlende Behandlung leichter Schlaganfallsymptome zu einem Anstieg der Zahl schwerer Schlaganfälle geführt haben könnte.

Es handelte sich um die Analyse aggregierter Routinedaten, die meist einzeln aus unterschiedlichen IT-Systemen extrahiert wurden. Ungenauigkeiten bei den Fallzahlen sind nicht auszuschließen, aber aufgrund der großen Effekte und hohen Fallzahlen wohl zu vernachlässigen.

Die Kategorisierung „Trauma“ versus „Nichttrauma“ wurde den jeweiligen Zentren überlassen und war operativ nicht standardisiert. Möglicherweise wurde diese Kategorisierung durch die heterogene Organisation der deutschen Notaufnahmen verzerrt. Der etwas stärkere Rückgang der ambulanten Traumafälle ist zwar medizinisch plausibel, kann aber nicht als belegt angesehen werden und bedarf weiterer Untersuchungen.

Schließlich ist nicht auszuschließen, dass sich die Notfallversorgung auf andere Leistungserbringer verlagert. Es wurden nur Notaufnahmedaten ausgewertet, aber internationale Daten zeigen, dass zumindest auch der Rettungsdienst und der Rettungsdienst betroffen waren (30). An unserer Studie nahmen nur Krankenhäuser mit der höchsten bzw. höchsten Versorgungsstufe teil. Diese wurden ebenso häufig als COVID-19-Behandlungszentren bezeichnet. Mit den vorliegenden Daten lässt sich daher nicht mit Sicherheit beantworten, ob und inwieweit beispielsweise auch die Grund- und Regelversorgung (Grundversorgung nach GBA) rückläufige Patientenzahlen aufwiesen. Aktuelle Daten aus Deutschland und den USA, die sich auf eine einzelne Region (Vergleich Universitätskliniken vs. regionale Anbieter) (31) oder eine Klinikkette (32) beziehen, zeigen jedoch, dass offensichtlich alle Versorgungsstufen betroffen waren.

Die COVID-19-Pandemie in Deutschland hat zu einem deutlichen Rückgang von medizinischen Notfällen aller Art in den Notaufnahmen geführt. Ein Erholungseffekt setzte bereits in Kalenderwoche 15 ein. Baseline-Werte wurden insgesamt bis zur 22. Kalenderwoche nicht erreicht, wodurch sich die Prävalenz des Myokardinfarkts normalisierte. Ursachen sind Gegenstand weiterer Forschung.

Besonderer Dank gilt der gemeinsamen Studiengruppe für AKTIN-Office, AKTIN-IT und den Mitgliedern des AKTIN-Notaufnahmeregisters unter der langjährigen Leitung von Felix Walcher und Dominik Brammen unter Mitarbeit von Wiebke Schirrmeister und Ronny Otto, Universitätsklinikum für Unfallchirurgie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, sowie Rainer Röhrig unter Mitwirkung von Jonas Bienzeisler und Raphael Majeed, Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen, für Ideen und Impulse, Datenlieferungen aus der Notaufnahme sowie sowie Datenauswertungen und Bereitstellung von IT-Unterstützung und Erstellung von Fachanfragen im Register.

Außerdem danken wir Hans-Jörg Busch, Freiburg, Clemens Kill, Essen, und Klaus Hahnenkamp, ​​​​Greifswald, für die Unterstützung des Projekts, das durch Ihre Oberärzte vertreten wird.

Forum für Universitätsnotaufnahme (FUN) im Verbund der Universitätsklinika in Deutschland V.

Volker Burst, Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum Köln; Michael Bernhard, Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum Düsseldorf; Sabine Blaschke, Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsmedizin Göttingen; Viktoria Bogner-Flatz, Markus Wörnle, Medizinische Notaufnahme und Aufnahmestation und Sektion Notaufnahme, Campus Innenstadt, Ludwig-Maximilians-Universität München; Jörg C. Brokmann, Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum RWTH Aachen; Felix Hans, Universitätsnotfallzentrum Freiburg; Katharina Dechant, Interne Notaufnahme, Universitätsklinikum Erlangen; Michael Dommasch, Karl Georg Kanz, Zentrale Interdisziplinäre Notaufnahme, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München; Jennifer Wärmek, Notfall- und Akutmedizin, Campus Mitte und Virchow-Klinikum Charité - Universitätsmedizin Berlin; Tobias Hofmann, Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum Magdeburg; Sebastian Ewen, Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum des Saarlandes; Ingo Gräff, Interdisziplinäres Notfallzentrum, Neuro-Notfallzentrum, Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsklinikum Bonn; André Gries, Zentrale Notaufnahme / Beobachtungsstation, Universitätsklinikum Leipzig; Andreas Jerrentrup, Zentrum für Notfallmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg; Lars Kihm, Interne Notaufnahme, Universitätsklinikum Heidelberg; Joachim Riße, Zentrum für Notfallmedizin, Universitätsklinikum Essen; Florian Kreth, Innere Medizin und Nicole Wielander, Chirurgische Notaufnahme, Universitätsklinikum Tübingen; Philipp Kümpers, Sektion Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsklinikum Münster; Ulrich Mayer-Runge, Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf; Matthias Napp, Zentrale Notaufnahme, Universitätsmedizin Greifswald; Domagoj Schunk, Interdisziplinäre Notaufnahme und Kindernotaufnahme, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel; Rajan Somasundaram, Notfall- und Akutmedizin, Campus Benjamin-Franklin, Charité - Universitätsmedizin Berlin; Markus Wehler, Zentrale Notaufnahme und IV. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Augsburg; Sebastian Wolfrum, Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck; Markus Zimmermann, Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsklinikum Regensburg.

Martin Kulla, Sektion Notaufnahmeprotokoll des DIVI und des Bundeswehrkrankenhauses Ulm; Caroline Grupp, Ostalb Klinikum Aalen; Christian Pietsch, Standort Aschaffenburg und Oliver Horn, Standort Alzenau, Klinikum Aschaffenburg-Alzenau; Heike Höger-Schmidt, Klinikum Chemnitz; Rupert Grashey, Klinikum Memmingen; Thomas J. Henke, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg; Kirsten Habbinga, Pius-Krankenhaus Oldenburg.

Interessenkonflikt Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskript eingereicht am 18.05.2020, revidierte Fassung angenommen am 06.07.2020

Anschrift für die Autoren Prof. Dr. med. Martin Möckel, FESC, FAHA

Notfall- und Akutmedizin Brustschmerzeinheiten, Charité - Universitätsmedizin Berlin

Campus Mitte und Virchow-Klinikum, Charitéplatz 1, 10117 Berlin

Zitiert von Slagman A, Behringer W, Greiner F, Klein M, Weismann D, Erdmann B, Pigorsch M, Möckel M: Medizinische Notfälle während der COVID-19-Pandemie – eine Analyse der Notaufnahmedaten in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 545-52. DOI: 10.3238 / arztebl.2020.0545

Dieser Artikel wurde am 22. Juli 2020 online (zuerst online) unter www.aerzteblatt.de veröffentlicht

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