Der Vernünftige - brand eins online

2021-11-29 09:30:04 By : Mr. Kevin Guo

Kunden verbinden Qualität seit jeher mit Nivea. Nur deshalb konnte Beiersdorf mit dem blauen Klassiker die erfolgreichste Markenfamilie der Welt gründen. Die Mutter aller Cremes ist auch heute noch vielen ihrer kultivierten Töchter überlegen.

Die Nivea-Muttergesellschaft BeiersdorfAG in Zahlen und Fakten Das Unternehmen gliedert sich in die Geschäftsbereiche - Cosmed (Nivea, Labello, 8x4), - Medical (Hansaplast, Eucerin) - und die in eine eigene Gesellschaft übergegangene Tesa AG (Tesafilm).

Der Konzern ist mit eigenen Gesellschaften in 50 Ländern vertreten, rund 6.400 der insgesamt rund 16.500 Mitarbeiter arbeiten in Deutschland. Im vergangenen Jahr erzielte Beiersdorf einen Umsatz von 4,1 Milliarden Euro (plus 13 Prozent) und einen Jahresüberschuss von 227 Millionen Euro (plus 30 Prozent). 88 Millionen Euro wurden in Forschung und Entwicklung investiert. Nivea steuert fast die Hälfte des Umsatzes bei. Die klassische Sahne (Jahresproduktion in Deutschland: 120 Millionen Dosen) macht nur sieben Prozent des Markenumsatzes aus. Die besten Kunden von Beiersdorf sind die Schweizer: Sie geben 12,80 Euro pro Person und Jahr für Cosmed-Produkte aus, in Deutschland sind es 10,20 Euro.

Wer dachte, das Mischen von Cremes, Lotionen und Badezusätzen sei eine banale Angelegenheit, wird von Klaus-Peter Wittern besser belehrt. Der 51-Jährige leitet die Forschung und Entwicklung der Kosmetiksparte von Beiersdorf und führt stolz durch seine Labore in Hamburg-Eimsbüttel. Insgesamt 400 Wissenschaftler im Unternehmen beschäftigen sich mit nichts anderem als mit Schönheit. Mit modernster Technik versuchen sie den Geheimnissen von Schuppen, Achselgeruch und Hautalterung auf die Spur zu kommen. Sie testen täglich neue Produkte an Dutzenden von Testpersonen. Und sie analysieren auch regelmäßig, was sich die Konkurrenz ausgedacht hat.

Wasser und Öl, Maiglöckchen und Rosenduft, Schafwollfett, Glycerin = Nivea Wittern, die erst Mathematik, dann Physik studiert und in Chemie promoviert hat, ist eine leidenschaftliche Forscherin. Einer, der sich auch in einem Uni-Labor wohlfühlen würde – wenn es dort die gleichen schönen Spielzeuge gäbe wie bei seinem Arbeitgeber. Zum Beispiel das Transmissionselektronenmikroskop, das 1,7 Millionen Mark kostet und die Hautschichten in beeindruckenden Bildern darstellen kann. Oder die Kamera, die in Sekundenbruchteilen die „Topographie der Haut“ aufzeichnet, Falten misst und „Rauheitsindikatoren“ berechnet. Oder das Rasterkraftmikroskop, "mit dem man beobachten kann, wie Shampoo auf einem einzelnen, lebendigen, fettigen Haar wirkt". Der Forschungsleiter hat die unter deutschen Wissenschaftlern seltene Gabe, sich allgemein verständlich auszudrücken.

„Wir geben mit rund 20 Millionen Mark pro Jahr mehr Geld für die Ausstattung aus als alle naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universität Hamburg zusammen“, freut er sich. Lohnt sich der Aufwand? Aber ja, sagt Wittern: „Wir sind Marktführer, weil wir Qualität produzieren. Und wir produzieren Qualität, weil wir technologisch die Nase vorn haben.“ Die entscheidende Innovation von Beiersdorf stammt aus dem Jahr 1911. Damals nutzte Oskar Troplowitz die Entdeckung des Emulgators Eucerit aus Schafwollfett und mischte aus Wasser und Öl eine schneeweiße Paste. Glyzerin, etwas Zitronensäure und den Duft von Maiglöckchen und Rose dazugeben und fertig war Nivea: die erste stabile Hautcreme oder im Beiersdorfer Jargon „die Mutter aller Cremes“. Das Rezept ist seit 90 Jahren praktisch unverändert.

„Die Verbindung von Öl und Wasser war die ultimative Idee – und ist bis heute eines unserer Forschungsschwerpunkte“, sagt Wittern. „Im Bereich Emulsionen macht uns niemand etwas vor. Deshalb sind wir zum Beispiel die einzigen, die ein Sonnenschutzspray mit Lichtschutzfaktor 30 anbieten können.“ Danke an Troplowitz. Der Apotheker hatte das 1882 von Paul Carl Beiersdorf 1890 gegründete Unternehmen gekauft, damals ein altmodischer Elf-Mann-Betrieb. Der neue Chef zeigte einen rastlosen Eifer, entwickelte unter anderem Bandagen (Leukoplast), technische Klebebänder (Tesa) und den Lippenpflegestift Labello. Troplowitz war ein aufgeklärter Unternehmer mit sozialem Sinn, er war der erste Hamburger Fabrikant, der bereits 1912 die 48-Stunden-Woche sowie bezahlten Urlaub und Mutterschaftsurlaub einführte.

Reinheit ist alles: Nivea leitet sich vom lateinischen nivis – Schnee – ab.

Auch in Sachen Marketing war er seiner Zeit voraus. Sein neues Produkt nannte er nicht, wie es damals üblich war, Beiersdorf Creme, sondern Nivea (abgeleitet vom lateinischen „nivis“, Schnee). Ein Name, der nicht nur passte, sondern in vielen Ländern auch verstanden wurde. Bereits 1914 war Beiersdorf ein internationales Unternehmen mit Niederlassungen in New York, Buenos Aires, Moskau und Sydney.

1924, sechs Jahre nach Troplowitz' Tod, war die Erfolgsgeschichte von Nivea fast zu Ende. Die Beiersdorf-Geschäftsführung plante, die Creme unter dem Namen Pebeco, einer damals erfolgreicheren Marke des Unternehmens, fortzuführen. Nivea wurde von einem Marketing-Mann gerettet. Juan Gregorio Clausen, damals Werbeleiter, setzte einen Relaunch durch: Die gelbgrüne Aluminiumdose, die zuvor im Jugendstil gehalten war, erhielt den berühmten blau-weißen Schriftzug. Schnörkelloses Design plus Farbpsychologie: Weiß steht für Reinheit, Blau für Himmel und Wasser.

Die richtige Idee zur richtigen Zeit. In den zwanziger Jahren begann in Deutschland der FKK-Kult; Bewegung an der frischen Luft und gebräunte Haut wurden modern. Aus diesem bald internationalen Trend entwickelte sich Nivea-Creme zum Massenprodukt: Pflege ohne Schnickschnack, bezahlbar für jedermann – das Erfolgsrezept bis heute. Die Universalcreme wurde nur einmal ernsthaft angegriffen. Ende der 1960er Jahre brachte Henkel mit Creme 21 im Orangenglas ein ähnliches, aber jugendlicheres Produkt auf den Markt. Blau hat gewonnen.

Beiersdorf hat früh begonnen, Nivea zu einer Markenfamilie auszubauen. Rasiercreme, Brillantine, Nussöl und Kindershampoo wurde das Sortiment ständig erweitert. Fast immer mit Erfolg. Allein die Nivea-Zahnpasta floppte, weil die Kunden den Markennamen zu sehr mit Hautpflege in Verbindung brachten.

Nivea ist eine globale Marke für alle. Für Supermodels ist kein Platz.

Rolf Kunisch, heutiger CEO von Beiersdorf, erkannte das Potenzial, das noch in Nivea steckt. 1991 kam er vom amerikanischen Konsumgüterkonzern Procter & Gamble nach Hamburg, übernahm die Verantwortung für die Familie Nivea und machte sich daran, diese zu einer globalen Dachmarke auszubauen. Unternehmensberater hielten die Marke mit einem Umsatz von rund 600 Millionen Euro damals für erschöpft. Auch im Unternehmen gab es Diskussionen: Lässt sich die Kernidee von Nivea – unkomplizierte, schonende Pflege – auf Deos übertragen? Auf Nagellack? Auf Haarspray? Einer könnte. Die Mutter aller Cremes erwies sich als äußerst fruchtbar. Heute ist Nivea in fast allen Marktsegmenten mit mehr als 120 Ablegern vertreten – vom Aftershave bis zum Anti-Mitesser-Pflaster, von der Mascara bis zum Deo-Tuch – und ist in vielen Ländern Marktführer.

„Nivea ist eine globale Marke für alle: vom Baby bis zum alten Menschen“, sagt Inken Hollmann-Peters, die für das internationale Marketing der Sparte Körperpflegeprodukte verantwortlich ist. "Deshalb werben wir nicht mit exzentrischen Schönheiten oder exzentrischen Figuren, sondern mit normalen Menschen, die etwas besser aussehen dürfen als der Durchschnitt." Behutsam hanseatisch gegerbt und gebleicht, würde die Marketingfrau auch als Nivea-Model ganz gut durchgehen. Über das Erfolgsrezept sagt sie: „Qualität ist das Kernmerkmal der Marke Nivea. Deshalb können wir uns noch weniger leere Versprechungen leisten als die Konkurrenz.“ Wenn jedoch etwas schief geht, ergreifen Sie sofort Maßnahmen. „Vor zwölf Jahren haben wir nicht gezögert, eine umfangreiche Rückrufaktion zu starten, als wir erfuhren, dass eine Charge Augen-Make-up-Entferner verunreinigt war“, sagt Inken Hollmann-Peters. Und der Forschungsleiter Wittern versichert, dass Beiersdorf die strengsten Richtlinien für Rohstoffe hat, seine Produkte regelmäßig prüft und keine Produkte auf den Markt bringt, die nicht über Monate hinweg in mehreren Studien zu unterschiedlichen Themen intensiv getestet wurden. Die Stiftung Warentest zertifiziert regelmäßig die Arbeit von Beiersdorf. Das hat für Inken Hollmann-Peters etwas mit Bescheidenheit zu tun: "Wir machen keinen Chichi, wir belästigen unsere Kunden nicht mit komplizierten Pseudowirkstoffen und bringen keine nutzlosen Produkte auf den Markt." Bei Kosmetik ist es jedoch nicht einfach zu entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht – auch nicht bei Beiersdorf. Hans-Peter Wittern spricht von „einer fruchtbaren Spannung“ zwischen Forschung und Marketing. Und sagt: "Wir Forscher haben uns so lange erfolgreich geweigert, ein unserer Meinung nach gesundheitsgefährdendes Vorbräunungsprodukt auf den Markt zu bringen, bis ein entsprechendes Konkurrenzprodukt aus diesem Grund vom Markt genommen wurde." Auch die firmeneigene Marketingabteilung war ruhig.

Kosmetik ist viel Arbeit und Psychologie – glattere Haut ist möglich, aber ewig jung nicht.

Viel lieber berichtet er über die Erfolge der "angewandten Grundlagenforschung", zum Beispiel die wohltuende Wirkung des Coenzyms Q 10. "Es beschleunigt den Stoffwechsel der Haut und hält sie jung." Von dieser Entdeckung bis zum fertigen Produkt sind sieben Jahre vergangen. "Die Wirkung wurde an mehr als 200 Probanden über einen Zeitraum von sechs Monaten getestet." Und dann das: Im Vergleich der Stiftung Warentest wurde die „Nivea Visage Anti-Falten Tagespflege Q 10“ nur mit „befriedigend“ bewertet, während Schleckers deutlich günstigere Marke mit „Gut“ bewertet wurde. Wittern runzelt die Stirn und gibt folgende Erklärung: „Die Stiftung Warentest ist leider nicht in der Lage, unsere besonderen Leistungen aus Mangel an Ressourcen besonders zu würdigen. Deshalb sind ihre Vergleichstests oft sehr grob. Es ist wie die Suche nach einem 5000-Meter-Lauf“ sagt: ‚Jeder ist angekommen‘ – aber nicht zu welcher Zeit.“ Das gehört zu den Erfolgen der Hautpflege. Wittern kennt die Grenzen der Kosmetik: "Man kann die genetisch vorgegebene Faltenbildung verlangsamen, aber nicht verhindern." Das Ziel der Forschung ist es, raue Haut etwas glatter, faltige Haut ein wenig schöner zu machen, der Rest ist Psychologie.

Annett Härtel, Oberärztin der Dermatologischen Abteilung des Klinikums Spandau in Berlin, fasst den aktuellen Forschungsstand wie folgt zusammen: „Mit Cremezusätzen wie den Vitaminen A und E lässt sich die natürliche Hautalterung lindern. Es geht auch einfacher: Bewegung in die frische Luft, ausreichender Sonnenschutz, Verzicht auf Nikotin und ausreichend Schlaf vor Mitternacht.“ In dieser Zeit teilten sich die Zellen am häufigsten. Sinnvolle Tipps, aber in Sachen Schönheit wollen die meisten Frauen (und immer mehr auch Männer) nicht mehr vernünftig sein, sondern sich etwas Gutes tun. Ein Phänomen, das im Marketingjargon "Selbstverwöhnung" (Hollmann-Peters) genannt wird. Nur deshalb verkaufen sich selbst sündhaft teure Pasten, Lotionen und Tinkturen hervorragend. Auch Beiersdorf ist in diesem Bereich aktiv und hat mit La Prairie eine Premiummarke im Portfolio.

Ab nächstem Jahr darf Beiersdorf verkauft werden – ein fetter Bissen.

Nivea ist eine vernünftige Wahl auf dem irrationalen Markt. Das ergab eine weitere Studie der Stiftung Warentest zu Nachtcremes. Zum Vergleich war die gute alte Nivea Allzweckcreme dabei. Und erreichte die Note "Gut", während das rund 70-mal (!) teurere Produkt Lancome Primordiale Nuit Soin Regenerant Visible Creme Essentielle nur die Note "Befriedigend" erhielt. Obwohl – oder gerade weil – die einfache Creme ohne Vitamine, Liposomen, Bio-Proteinkomplexe und sonstigen Schnickschnack auskommt. Trotz aller Wissenschaft bleibt Kosmetik eine höchst subjektive Angelegenheit. Daher werden den Probanden die wirklich zentralen Fragen gestellt: „Wie schnell zieht die Creme ein? Wie riecht sie?“ (Riechen).

Der Aufwand in Forschung und Werbung, geschickte Markenführung, das „kreative Spannungsverhältnis“ zwischen Tradition und ein bisschen Marketing-Blabla haben Nivea in den letzten zehn Jahren komplett abkatapultiert und Beiersdorf ein beeindruckendes Wachstum beschert. Heute ist die blaue Familie mit 2,1 Milliarden Euro Umsatz die größte Körperpflegemarke der Welt. Nivea überholte Oil of Olaz (Procter &: Gamble), Dove, Lux and Pond's (Unilever) und auch L'Oréal. Inzwischen versucht die Konkurrenz, das Erfolgsmodell zu kopieren. Unilever ist dabei, seine Dachmarke Dove hinsichtlich Farbe, Preis und „Grundwerten“ ähnlich wie Nivea aufzubauen.

Die Strategie von Beiersdorf ist es, den Vorsprung auszubauen. Rolf Kunisch hat der Gruppe eine Umsatzsteigerung von acht Prozent pro Jahr verordnet, die nun konsequent auf den Kosmetikbereich ausgerichtet ist. Im Bereich der klassischen Hautpflege will Nivea weltweit Marktführer werden.

Die guten Zahlen sollen auch die Eigenständigkeit des relativ kleinen Players Beiersdorf garantieren.

Das Unternehmen wird zu großen Teilen von den Großaktionären Allianz (rund 38 Prozent) und Tchibo (rund 26 Prozent) kontrolliert, die ihre Anteile ab nächstem Jahr steuerfrei veräußern könnten. Damit wäre der Weg für eine Übernahme geebnet. Der Kaufpreis – Beiersdorf hat derzeit einen Wert von rund neun Milliarden Euro – wäre für Branchenriesen kein Problem. Nivea ist ein attraktiver Snack.

Also unsichere Zeiten. Wer weiß, ob ein neuer Besitzer genauso liebevolle Markenpflegeunternehmen sein wird? Würde er den Wert der „herausragenden Inhouse-Expertise“ (Wittern) schätzen? Oder würden Sie sich allein auf Masse verlassen?

Im Fall von Nivea wäre das besonders unvernünftig.