Und wer hat’s erfunden? Die Norddeutschen! - Hamburger Abendblatt

2022-09-18 02:03:05 By : Mr. Jason Lee

Erfindungen aus Norddeutschland: Der Vorläufer der Barbie-Puppe war die „Bild“Lilli. Schwimmflügel können Leben retten und das erste Flugzeug mit Düsentriebwerk

Foto: dpa; Montage: HA

Bei Patentanmeldungen liegt Hamburg 2016 auf dem vierten Platz. Schon früher sind hier viele Ideen entstanden.

Hamburg.  Ganz schön plietsch, die Norddeutschen. Zwar sind die Schwaben noch patenter. Aber nach Angaben des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft steht die Hansestadt bei den Patentanmeldungen in einem bundesweiten Ranking auf Platz vier nach Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. Kamen auf 100.000 Einwohner in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr 132 Patentanmeldungen, waren es in Bayern 124, in Niedersachsen 47 und in Hamburg immerhin 44.

Nach Angaben des Deutschen Patent- und Markenamts in München werden durchschnittlich rund zwei Drittel der Patente von großen Konzernen angemeldet und ein Drittel von kleinen Unternehmen und Privatpersonen. Das erklärt auch, warum Bayern und Baden-Württemberg die meisten Patentanmeldungen vorzuweisen haben – in diesen Bundesländern haben vergleichsweise viele Großunternehmen ihren Sitz. Bahnbrechende Innovationen aus dem Norden Deutschlands haben freilich seit Langem Tradition, wie dieser Blick auf die besten Erfindungen zeigt.

Am 27. August 1939, drei Tage vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, startete in der Nähe von Rostock die „He 178“. Es war das erste Düsenflugzeug der Welt, gebaut von den Rostocker Ernst Heinkel Flugzeugwerken. Heinkel (1888–1958) gilt als technischer Wegbereiter der Jumbojets. Die moderne Luftfahrt wäre ohne ihn nicht denkbar. Seine „He 178“ ohne Propeller, dafür aber mit Strahltriebwerk, erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 600 Kilometern pro Stunde. Nach dem Krieg wurden die Flugzeugwerke zerstört. Heinkel gründete ein neues Werk in Stuttgart.

Die wohl berühmteste Puppe der Welt hat ein Hamburger Vorbild: Der Verleger Axel C. Springer (1912 in Hamburg geboren und 1985 gestorben) ließ in seiner „Bild“-Zeitung regelmäßig die „BILD-Lilli“ drucken – von 1952 bis 1962 als Comicfigur. Später kam sie als „Bild“-Puppe auf den Markt. Ruth Handler, Mitinhaberin von Mattel, entdeckte die „Bild“-Lilli 1958 bei einer Europareise. 1959 wurde Barbie in New York vorgestellt.

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Der gebürtige Mecklenburger Alexander Behm entwickelte in Kiel das erste Echolot in Deutschland. Damit wurde die elektroakustische Messung von Wassertiefen möglich. Am 22. Juli 1913 erhielt Behm das Reichspatent Nr. 282009 für seine „Einrichtung zur Messung von Meerestiefen und Entfernungen und Richtungen von Schiffen oder Hindernissen mithilfe reflektierter Schallwellen“. Der Untergang der „Titanic“ war für Behm der entscheidende Anstoß für diese neue Technik.

Schon als Kind litt Heinrich Wöhlk, 1913 in Kiel geboren, unter Weitsichtigkeit. Weil er keine schwere Brille tragen wollte, erfand er in Kiel die von ihm später sogenannte Contact­linse. 1940 schuf Wöhlk einen Prototypen aus Plexiglas, dessen Tragekomfort deutlich höher lag als bei den zur damaligen Zeit üblichen Skelarschalen aus Glas. Die erste moderne Kontaktlinse erblickte noch unter dem Namen des „unsichtbaren Haftglases“ das Licht der Welt.

Innovationsgeist hat Tradition in einem Unternehmen, das auf den Apotheker Paul Carl Beiersdorf zurückgeht. Der Firmengründer, nach dem der Beiersdorf-Konzern benannt ist, revolutionierte 1882 die Wundversorgung, indem er Pflastermull erstmals mit einer Klebstoff-Schicht auf Guttapercha-Basis versah. Das Verbandspflaster Leukoplast war geboren. Das Unternehmen nahm einen solchen Aufstieg, dass Beiersdorf erstmals in Hamburg den Acht-Stunden-Tag einführen und seinen Mitarbeitern kostenloses Mittagessen spendieren konnte.

Kein großes Orchester ohne einen Dirigenten und seinen Taktstock: Als erster Musiker in Deutschland setzte der Braunschweiger Komponist und Dirigent Louis Spohr (1784– 1859) den Taktstock ein. Er war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Geschichte einer glänzenden Erfinderkarriere symbolisiert auch das Lebenswerk von Kurt A. Körber (Hanseatische Universelle, „Hauni“). Der Techniker startete bescheiden in einer Telefonzelle am Hamburger DammtorBahnhof. Mehr als 60 Jahre später macht die Körber AG Millionenumsätze. Zu verdanken ist das insbesondere einer Erfindung, mit der die Körber-Ingenieure 1956 weltweit für Furore sorgten: Sie entwickelten den Filteransetzer Max und schafften so den Einstieg in die Massenproduktion von Filterzigaretten. „Heute steht der Name Hauni als Synonym für den erfolgreichsten Systemanbieter für die Tabak verarbeitende Industrie“, heißt es stolz bei der Körber AG.

Die Entdeckung der Röntgenstrahlen war im 19. Jahrhundert eine Sensation. Bis heute werden sie in der Röntgenröhre für diagnostische Zwecke in der Medizin erzeugt. Eine der modernsten produziert die Hamburger Philips Medical Systems DMC GmbH mit Sitz an der Röntgenstraße: Die Metall Rotalix Ceramic, kurz MRC-Röhre. Es war der Hamburger Glasbläser Carl Heinrich Florenz Müller, der gemeinsam mit Ärzten die erste Röntgenröhre baute. 1901 ehrte ihn die Röntgen-Society London dafür mit einer Goldmedaille. Die Firma Röntgenmüller produzierte im Jahr 1909 bereits 6600 Röntgenröhren und verkaufte sie weltweit. 1927 übernahm Philips Röntgenmüller und bündelte die Entwicklung und die Produktion von Röntgenröhren in Hamburg. Carl Heinrich Florenz Müller ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.

Sonnenhungrige Urlauber mit nicht vorgebräunter Haut sollten unbedingt „Nivea Feuchtigkeits-Sonnenmilch LF 20“ mitnehmen. LF 20 steht für Lichtschutzfaktor 20, der den UV-Strahlen der Sonne so drastisch Paroli bieten kann, dass die Reise auch ins strahlengefährdetere Australien gehen könnte. Die Wirksamkeit der „Nivea Feuchtigkeits-Sonnenmilch LF 20“ hat der Hamburger Apotheker Heiner Gers-Barlag vor zehn Jahren am eigenen Leib ausprobiert. Er ist Abteilungsleiter bei Beiersdorf in Hamburg und gewissermaßen der „Erfinder“ dieser Sonnenmilch. Natürlich ist sie auch patentiert, eines von mehr als 100 Patenten des Hamburger Lichtschutzpapstes – unter der Nummer DE 19910477 beim Deutschen und unter 1034 778 beim Europäischen Patentamt. Und wer es noch nicht weiß: Auch die Nivea-Creme ist eine Hamburger Erfindung. 1890 hatte der Apotheker Oscar Troplowitz das Laboratorium von Paul C. Beiersdorf in Altona gekauft und zu einem internationalen Unternehmen ausgebaut, der späteren Beiersdorf AG. Er etablierte Marken wie Nivea und Labello. Schnell war damals auch ein weiteres Produkt namens Tesa geboren.

Die Tesa-Erfolgsgeschichte begann mit der zunächst missglückten Entwicklung des Wundpflasters. An diesem arbeitete der Hamburger Apotheker Paul C. Beiersdorf, als Troplowitz das Labor des Unternehmensgründers 1890 übernahm. Das Wundpflaster klebte hervorragend, reizte aber die Haut. „Troplowitz machte aus der Not eine Tugend und brachte 1896 das erste technische Klebeband auf den Markt“, heißt es auf der Tesa-Website.

Sie hat der im Jahr 2000 verstorbene Hamburger Bernhard Markwitz, ein Kaufmann und Rettungsschwimmer, erfunden. 1956 war seine dreijährige Tochter in einen Goldfischteich gefallen und fast ertrunken. So entwickelte und produzierte er eine Schwimmhilfe, die das Schwimmen vor allem für Kinder sicherer machen sollte als die bis dahin üblichen Schwimmringe aus Kork. Unter dem Markennamen „BEMA“ (für Bernd Markwitz) wurden sie millionenfach verkauft. Seit dem Jahre 2000 gehört das BEMA-Unternehmen zur Friedola Gruppe.

Bald ist Weihnachten, und mit dem Adventskranz geht es langsam los. Auch der ist eine Hamburger Erfindung. Es war der Sozial­reformer Johann Hinrich Wichern (1808–1881), der seine Jungs aus den Problemvierteln in Hamm und Horn im Jahr 1839 mit einem Holzrad überraschte. Darauf hatte der Gründer des Rauhen Hauses vier große weiße und 20 kleine rote Kerzen befestigt. Während die weißen Lichter jeweils an den vier Adventssonntagen leuchten sollten, symbolisierten die roten das tägliche Warten bis zum Heiligen Abend. So konnten die Kinder auch das Zählen üben. Später wurde das Arrangement mit reichlich Tannengrün ergänzt, schließlich gilt diese Farbe als Zeichen der Hoffnung. Bis heute ist das Entzünden des Adventskranzes, der meist nur noch aus vier Kerzen besteht, für viele Menschen ein lieb gewordenes Ritual.

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