Krankenkassen-Prämienanstieg: Reaktionen aus der Schweiz

2022-10-02 09:48:56 By : Mr. Bruce Zhao

Die Krankenkassenprämien steigen nächstes Jahr um über sechs Prozent. Der Konsumentenschutz fordert nun Notrecht bei der Prämienverbilligung, Parteien und Verbände sehen Handlungsbedarf.

Die am Dienstag angekündigte Erhöhung der Krankenkassenprämien um durchschnittlich 6,6 Prozent ruft harsche Reaktionen hervor. Für viele Haushalte sei es ein herber Schlag, sagt Konsumentenschutz-Geschäftsleiterin Sara Stalder in einer ersten Reaktion. Für diese sei die finanzielle Belastung schon in den vergangenen Jahren untragbar geworden, nun falle der Anstieg zusammen mit steigenden Preisen für Energie und Konsumgüter.

Der Konsumentenschutz fordert den Bundesrat deshalb auf, unverzüglich zu handeln. Die vom Ständerat am Montag vertagte Erhöhung der Prämienverbilligung müsse nun von der Exekutive per Notrecht vorgenommen werden. «Es braucht jetzt dringend einen Rettungsschirm für Konsumentinnen und Konsumenten, nicht nur für Konzerne wie die Axpo», schreibt der Konsumentenschutz dazu.

Salz in die Wunden der Prämienzahlenden streut der Verband der Schweizer Spitäler H+. Dieser rechnet damit, dass sich das jährliche Wachstum der Prämien weiter fortsetzen wird. Denn in den Prämien 2023 seien «die aktuelle Teuerung und Lohnerhöhungen beim Gesundheitspersonal noch nicht einmal miteingerechnet», schreibt der Verband in einer Mitteilung.

Die politisch Verantwortlichen müssten nun ergänzende oder alternative Finanzierungslösungen diskutieren – «und zwar für schweizerische Verhältnisse ungewöhnlich rasch», so das H+-Schreiben weiter.

Einen Vorschlag parat hat die Mitte-Partei, die ihre «düsteren Prognosen» laut einer ersten Mitteilung «bewahrheitet» sieht. Sie verweist auf ihre Volksinitiative, die den Bund zu Kostensenkungsmassnahmen verpflichten will, sobald die Kostensteigerung im Gesundheitswesen höher ausfällt als der allgemeine Lohn- und Preisanstieg.

Die Mitte verspricht sich von diesem Instrument Einsparungen in der Höhe von jährlich 20 Prozent der Gesundheitskosten. Der einzige Haken an der Sache: «Die anderen Parteien lehnen unsere Kostenbremse-Initiative ab.» Die Mitte werde sich aber weiter «mit Hochdruck» für die Lösung einsetzen, so die Mitteilung weiter.

Die SP und der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) verweisen in ihrer Reaktion dagegen auf ihre eigene Lösung, die ebenfalls in Gestalt einer Volksinitiative daherkommt: Diese verlangt, dass die den Versicherten in Rechnung gestellten Prämien maximal zehn Prozent des Einkommens betragen – für den Rest käme die Allgemeinheit über die Prämienverbilligung auf. Damit würde das Schweizer Gesundheitswesen endlich auf eine solide Finanzierungsbasis gestellt, heisst es in der Mitteilung des SGB.

Auch die SP macht in ihrer Reaktion Werbung für die Initiative. «Da die Gesundheitskosten seit Jahren explodieren und die Pharmaindustrie immer unanständigere Gewinne erzielt, müssen wir angesichts der aktuellen Inflation dringend handeln», so ein Statement von SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer.

Der Ärzteverband FMH verweist dagegen auf bereits bestehende Reformprojekte, die aber sei langer Zeit blockiert seien. Gemeint sind die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen und der neue Ärztetarif Tardoc. Beide könnten dazu beitragen, den Prämienanstieg zu drosseln, so der FMH. Indem der Bundesrat dem neuen Tardoc zum wiederholten Male die Genehmigung verweigerte, blieben falsche Anreize bestehen.

Laut FMH steigen die Prämien stärker als die Gesundheitskosten, weil immer mehr Behandlungen nicht mehr im Spital, sondern ambulant durchgeführt werden. Der Unterschied: Die Behandlung im Spital ist von den Kantonen mitfinanziert, ambulante Therapien gehen aber voll zu Lasten der Krankenversicherungen und damit der Prämienzahler. «Die fehlende kantonale Mitfinanzierung treibt die Prämienbelastung in die Höhe», so der FMH.

Auch der Krankenkassenverband Santésuisse kritisiert die veralteten Arzttarife und spricht in seiner Reaktion von «gravierenden Fehlentwicklungen.» Ausserdem seien die Medikamentenpreise in der Schweiz nach wie vor viel zu hoch. Die nun kommunizierten Prämien seien «auf Geheiss der Politik äusserst knapp kalkuliert worden» und reduzierten die Reserven der Krankenkassen um rund einen Drittel. Auf Dauer könne ein solches Vorgehen sogar grosse Versicherer in ihrer Existenz gefährden, so Santésuisse.

Die Hilfsorganisation Caritas sieht nach dem Bekanntwerden des Prämienanstiegs dringenden Handlungsbedarf. In der Schweiz seien 722’000 Menschen direkt von Armut betroffen, ebenso viele lebten nur sehr knapp über der Armutsgrenze, schreibt sie in einer Mitteilung. «Jeder Anstieg der Ausgaben kann für sie das Abrutschen in die Armut bedeuten», warnt das Hilfswerk.

Bundesrat Alain Berset hatte die Prämienerhöhung um durchschnittlich 6,6 Prozent am Dienstag bekannt gegeben. Er begründete das erneute massive Ansteigen der Prämien mit den Folgen der Covid-19-Pandemie.