Weil sie Büezer-Löhne anhoben: Walliser Baumeister als Verräter beschimpft

2022-07-02 06:01:37 By : Mr. Jack Diao

Während viele im beheizten Büro, Geschäft oder Homeoffice sitzen, steht Manuel Dinis da Costa Dias (54) bei garstigen Bedingungen auf der Baustelle in Visp VS. Das Thermometer zeigt kühle drei Grad an, der Boden ist pickelhart. Trotzdem zeichnet sich unter seinem grauen Bart ein breites Grinsen ab.

«Es ist toll, dass sich die Gewerkschaften und der Walliser Baumeisterverband auf eine Lohnerhöhung einigen konnten», sagt der Büezer, der derzeit bei der Erneuerung der Kanalisation des Visper Spitals mitkrampft, zu Blick. Für Dinis geht es dabei auch um die Anerkennung der Arbeit, die die Büezer in den letzten zwei Pandemiejahren trotz aller Risiken geleistet haben.

Umso mehr bedrückt Dinis, «dass die Bauarbeiter in den anderen Kantonen keine Lohnerhöhung bekommen haben». Der Walliser Baumeisterverband (WBV) ist die einzige Sektion in der Schweiz, die fürs Jahr 2022 eine generelle Lohnerhöhung beschlossen hat: 1,2 Prozent für alle und 0,3 Prozent variabel. Chiara Meichtry (44), Vizedirektorin des WBV, sagt dazu: «Die Bauarbeiter haben diesen Teuerungsausgleich mit ihrem grossen Einsatz während der Pandemie mehr als verdient. Das ist auch eine Frage des Respekts.» Viel mehr möchte Meichtry dazu nicht sagen, denn das Thema hat sich zu einem Pulverfass entwickelt.

Andere Mitglieder des Schweizerischen Baumeisterverbandes (SBV) warfen der Walliser Sektion wegen dem Lohn-Alleingang «Verrat» und «Rebellion» vor, wie aus einem internen WBV-Dokument hervorgeht. Bei der Berner Sektion (KBB) kam die Grosszügigkeit besonders schlecht an. «Der KKB verurteilt das Vorgehen des WBV aufs Schärfste», schreibt der Verband in einem Brief an seine Mitglieder, der Blick vorliegt. Darin weiter: Die Walliser hätten «die an der Delegiertenversammlung beschworene Solidarität innerhalb des Verbands mit Füssen getreten».

Der Landesverband hatte erst im vergangenen November erklärt, dass eine generelle Lohnerhöhung für das Jahr 2022 wegen der tiefen Gewinnmargen «nicht möglich» sei. Das Ausscheren der Walliser lässt den Dachverband dementsprechend alt aussehen. Der SBV soll deswegen gar juristisch prüfen lassen, ob solche Alleingänge künftig unterbunden werden könnten, ist aus Branchenkreisen zu hören. Gegenüber Blick wollte sich der SBV nicht zum Riesenkrach mit der Walliser Sektion äussern.

Die Entrüstung kommt nicht von ungefähr. Der SBV und die Gewerkschaften müssen bis Ende Jahr einen neuen Landesmantelvertrag (LMV) aushandeln. Die Verhandlungen haben am 28. Februar begonnen und werden bis im November dauern. Der SBV möchte dabei die eigene Position deutlich verbessern. «Dafür sind eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, eine allgemeine Entschlackung des LMV-Regelwerks und wettbewerbsfähige Löhne wichtige Themen, die an den Verhandlungen vertieft besprochen werden müssen», sagt der SBV gegenüber Blick.

In den Verhandlungen wird auf beiden Seiten taktiert und auch mit harten Bandagen gekämpft. Das Verhältnis zwischen dem SBV und der Gewerkschaft Unia soll ziemlich angespannt sein. Der SBV droht gar mit einem vertragslosen Zustand, sollte man mit seinen Forderungen bei den Gewerkschaften auf Granit stossen.

Bei der Unia herrscht deswegen Entrüstung. «Die konjunkturelle Lage ist top, Baugesuche und Investitionen liegen auf Rekordniveau und die Baumeister wollen trotz Fachkräftemangel die Arbeitsbedingungen verschlechtern», wettert Nico Lutz (51), Bausektor-Chef bei der Unia.

An solchen Extremforderungen stösst sich auch die Walliser Sektion. «Gegenwärtig überwiegt in den nationalen Verhandlungen der Dogmatismus. Der Kampf werde eher gegen eine Gewerkschaft geführt als für das Wohlergehen der Arbeitnehmer und Unternehmen», übt die Sektion in einem Brief an ihre Mitglieder Kritik.

«Gewisse Technokraten» würden «frontale Angriffe» führen und mittels «gezielter Rechtsgutachten» zahlreiche Errungenschaften in Frage stellen.

Kurioserweise fällt dem SBV eines dieser Gutachten in den aktuellen LMV-Verhandlungen auf die eigenen Füsse. Der Landesverband betont in den Verhandlungen jeweils, dass Lohnerhöhungen im Bausektor Arbeitsplätze gefährden würden. Die Untersuchung zeigt nun jedoch auf, dass die Lohnzuschläge praktisch eins zu eins auf die Preise abgewälzt werden können, ohne dass die Umsätze und Margen der Baumeister leiden. Dieses Ergebnis hat dann auch beim SBV überrascht.

Das Ergebnis einer Befragung vom Herbst 2021 gefällt dem SBV da schon besser: Drei von fünf Polieren würden sich wünschen, dass sie ihre Arbeitszeit flexibler gestalten könnten. Dem SBV schwebt als Lösung ein Jahresarbeitszeit-Konto vor. «Wer im Sommer mehr arbeitet, kann im Winter die Zeit kompensieren und auf eine Reise oder die Skipiste gehen», so der SBV.

Doch die Arbeitstage der Büezer sind bereits heute sehr lang und ihr GAV einer der flexibelsten. Wie repräsentativ da eine Umfrage unter Führungskräften für alle normalen Büezer ist, bleibt fraglich.

Manuel Dinis da Costa Dias sagt jedenfalls, dass er im Sommer schon jetzt genug arbeite: «Am Abend will ich auch noch etwas Zeit für meine Familie haben.» Er verfolgt die Verhandlungen für den neuen GAV mit Spannung und hofft darauf, dass das Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt.