Tattoo-Pflaster: Forscher preisen schmerzfreie Tattoos an – zum Ärger von Tätowierern | STERN.de

2022-09-18 01:57:22 By : Ms. Jackie Guo

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Eine großflächige Tätowierung dauert gut und gerne einen ganzen Tag oder gar mehrere Wochen. Wer beispielsweise seinen Oberarm komplett mit einem Hautkunstwerk überziehen will, sollte viel Geduld mitbringen – und bereit sein, teils große Schmerzen zu ertragen. Die Idee – oder auch nur die Phantasie – den Vorgang beschleunigen und ohne Schmerz hinter sich bringen zu können, ist daher äußerst attraktiv.

Ein neues Forschungsprojekt des Georgia Institute of Technology soll in diese Richtung gehen: Das Forscherteam präsentierte ein neuartiges Pflaster, das mit Mini-Nadeln gespickt ist und Farbe unter die Haut bringen kann – ganz ohne Schmerzen oder professionelle Anleitung.

"Wir haben die Nadel so verkleinert, dass sie schmerzfrei ist, aber dennoch effektiv Tätowiertinte in die Haut einbringt", sagte Mark Prausnitz, der die Studie leitete. "Dies könnte nicht nur den Zugang zu medizinischen Tätowierungen erleichtern, sondern auch neue Möglichkeiten für kosmetische Tätowierungen schaffen, da die Anwendung so einfach ist."

Das Prinzip des Pflasters liest sich simpel: Die kleinen Mikronadeln bestehen aus Tinte. Bringt man es auf der Haut auf, löst sich die Farbe unter der Haut auf – und hinterlässt eine schmerzfreie und unblutige Tätowierung. Einige Einsatzzwecke, etwa das Anbringen von medizinisch notwendigen Informationen oder Blutgruppen, ergeben sogar Sinn. Einfach Pflaster drucken lassen, aufdrücken, fertig. Dafür braucht man keinen Künstler, denn das Tattoo ist schließlich Mittel zum Zweck und dürfte zumeist an weniger sichtbaren Stellen angebracht werden.

Das Forscherteam gibt an, dass die Tattoos mit dem Pflaster, obwohl die Tinte nicht in die Lederhaut (Dermis) getragen wird, wie es beim Tätowieren üblich ist, mindestens ein Jahr halten. Etwas kurios ist die Angabe, dass sie "wahrscheinlich dauerhaft sein werden". 

Was darauf folgt, ist allerdings noch verwunderlicher. Das Team schreibt: "Das (also die Haltbarkeit, Anm. d. Red.) macht sie auch zu einer praktikablen kosmetischen Option für Menschen, die eine ästhetische Tätowierung ohne das Risiko einer Infektion oder die mit traditionellen Tätowierungen verbundenen Schmerzen wünschen."

Mit diesem Versprechen konfrontiert, schlägt Tobias Tietchen, Inhaber des Hamburger Tattoo-Studios "Atelier Tietchen", die Hände über dem Kopf zusammen. Tietchen tätowiert seit vielen Jahren, hat Menschen wie Ed Sheeran verziert und erlebt jeden Tag live mit, was für eine Qual gute Tätowierungen mit sich bringen können. Dem stern erklärt er: "Meiner Meinung nach ist das übelster Schwachsinn. Bei ästhetischen Tattoos fängt es ja schon bei der Platzierung des Motivs an. Ohne fachkundige Beratung ein schwieriges Thema." 

Weiter schimpft er: "Die Haut der Menschen variiert viel zu stark, als dass man ein universelles Pflaster einsetzen könnte. Die Wahrscheinlichkeit das, wenn die Tätowierung verheilt, es unsauber verheilt oder nicht richtig übertragen wird, ist viel zu groß. Ein Kunsthandwerk wie Tattoos kann man nicht von zwischenmenschlichen Faktoren befreien, es industrialisieren und ungeschultem Personal überlassen."

Zwei kleinen Einsatzzwecken räumt Tietchen eine gewisse Chance ein: "Für medizinische Zwecke, also Infos zur Blutgruppe und sowas, oder kosmetische Zwecke, wie das übertünchen von Hautunregelmäßigkeiten auf kleinster Fläche, könnte es passend sein – wird sich aber vermutlich nicht durchsetzen. Die Tierversuche verurteile ich im Übrigen scharf."

Christian Hensen, Inhaber des Hamburger Tattoo Studios "Immer und Ewig" stimmt zu: "Das ist furchtbar und schrecklich. Ich denke, dass es aufgrund der fehlenden Tiefe nicht lebenslänglich halten wird und somit nicht das ist, wofür Tattoos stehen. Anklang findet das bestimmt, aber zu sehen wie das Tätowieren immer weiter sinkt ist schwer zu ertragen."

Ohnehin wird bei einem Blick auf die wissenschaftliche Arbeit der Forschenden klar, was mit "ästhetischen Tätowierungen" von Prausnitz gemeint ist: Minimale Pixel-Bildchen, zusammengesetzt aus Vierecken. Der Traum, einzigartige Tattoos ganz ohne Schmerz, Blut und meist viel Geld unter die Haut zu bekommen, bleibt demnach ein solcher.

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